Nils hat als Investmentbanker und in den letzten Jahren als erfolgreicher Seriengründer gearbeitet (Spryker, Etribes, etc.). Sein Steckenpferd ist dabei die digitale Finanzlogik. Wir sprechen mit Nils unter anderem über die folgenden Punkte:
- Worin unterscheidet sich die traditionelle von der digitalen Finanzlogik?
- Die Arroganz und Ignoranz der Investment-Branche, die oft in einer falschen Analysten-Coverage mündet.
- Warum ein Finanz-Controller im Jahr 2020 eigentlich ein Data Scientist bzw. sehr stark technisch ausgerichteter Controller sein muss.
- Warum Vertrauen als elementare Leitplanke für eine erfolgreiche Personalführung von wesentlicher Bedeutung ist.
- Welches Buch Nils gerade spannend findet.
Christian: Als Facebook im Jahr 2012 Instagram mit seinerzeit nur 13 Mitarbeitern übernommen hat, ging ein Raunen durch die Wirtschaft. Wie kann man nur so viel Geld für ein Unternehmen ohne Einnahmen ausgeben? Aus heutiger Sicht war der Preis und das Unternehmen ein Glücksgriff. Was unterscheidet die digitale Investitionslogik deiner Ansicht nach von der traditionellen?
Nils: Ich glaube, der größte Unterschied liegt in der Bewertung. Ich habe als Investmentbanker mit traditionellen DCF-Modellen usw. angefangen und relativ viel Zeit mit der traditionellen Finanzmathematik verbracht. Diese Logik nützt für digitale Modelle aber wenig, weil dort völlig andere Bewertungsmethodiken angewendet werden müssen. Vor allem, weil digitale Unternehmen oft keine lange Finanzhistorie vorweisen können. DCF-Modelle beruhen ja auf der Interpretation historischer Zahlen, die in der digitalen Welt aber keinen hohen Stellenwert haben.
Christian: Welche Kriterien ziehst du für die Bewertung digitaler Geschäftsmodelle heran?
Nils: Wenn ich mich an einem Unternehmen beteiligen soll, schaue ich zuerst auf die Technologie. Das ist die erste Komponente. Ich schaue, ob das Unternehmen nur ein Anwender ist oder bestimmte technologische Aspekte selbst definiert und implementiert. Der zweite und vermutlich wichtigste Punkt sind die Kundenakquisitionskosten. Wenn ich schätze, wie viel Kunden das Unternehmen durch mein Investment erreichen könnte, und diese Schätzung von den Kosten ausgehend extrapoliere, erhalte ich schon einmal einen logischen Investment Case. Und wenn ich dann auch noch anhängen kann, welcher Gewinn pro Kunde erreicht werden könnte, und ich genau weiß, wie viel ich bezahlen muss, um diese Kunden zu akquirieren und zu halten, habe ich einen Investment Case, mit dem ich arbeiten kann. Im Prinzip ist die grundlegende Frage immer die gleiche: Sind die Kundenakquisitionskosten geringer als der Customer Lifetime Value?
Christian: Warum fällt es traditionellen Investoren schwer, solche Metriken zu betrachten? Theoretisch sagt einem ja bereits der gesunde Menschenverstand, dass diese Kriterien wichtig sind.
Nils: So ziemlich alle Investmentbanker – die Harvard-Absolventen, die man ganz klassisch zuerst im Investmentbanking und dann in einer Private-Equity-Firma findet – haben von digital schlichtweg keine Ahnung. Die wenden immer noch an, was sie in ihren Vorlesungen gelernt haben – und diese Tools sind für digitale Modelle einfach vollkommen ungeeignet. Die sollten sich eher mit Leuten wie Tarek Müller unterhalten. Der schaut, wie er AboutYou ideal aussteuern kann, welche Kosten-Umsatzrelationen für welchen Kanal am besten sind usw. Und da spielen die Kundenakquisitionskosten und der Lifetime Value nun einmal eine große Rolle. Daran hindert sie aber vor allem die Arroganz des Finanzwesens, sich nicht digitalisieren zu wollen.
Christian: Inwieweit sind „traditionelle“ Investoren dann überhaupt dazu in der Lage, richtige Investitionsentscheidungen zu treffen?
Nils: Wenn wir uns rein digitale Geschäftsmodelle anschauen, sehe ich für die traditionellen Investoren tatsächlich keine Zukunft mehr. Selbst ein Unternehmen wie Amazon hat meiner Meinung nach keine gute Analysten-Coverage. Aber auch bei Unternehmen, die eine hohe Dichte an Analysten-Coverage haben, wird oft nicht erkannt, wo die Werttreiber sitzen. Auch da wird versucht, eine veraltete Finanzlogik auf ein sehr erfolgreiches Geschäftsmodell aufzudrücken, durch die das Unternehmen aber nicht mehr eindeutig bewertet werden kann. Auch wenn die Dividende für traditionelle Investoren immer noch eine wichtige Sache ist, sollte ihre Forderung stattdessen lauten: „Bitte investiere in noch mehr Bereichen noch mehr in deine Kundenbindung. Stelle dem Kunden noch mehr for free zur Verfügung, um sicherzustellen, dass du ihn langfristig und gleichbleibend monetarisieren kannst.“
Christian/Rene: Wechseln wir einmal von der Investorenperspektive in die Unternehmensperspektive: Wie sieht dann moderne Finanzarbeit in einem digitalen Unternehmen vor diesem Hintergrund aus?
Nils: Ich glaube, im Mittelpunkt moderner Finanzarbeit müssen die operativen KPIs stehen. Man kann ein Unternehmen einfach nicht mehr mit EBIT- und Wachstumsanalysen controllen und betreiben. Man muss seine eigenen Online-Marketingkosten nachvollziehen können. Und aus diesen elementaren Daten wird alles andere abgeleitet. Dafür muss man als CFO einen tiefen Einblick in die operativen Kennzahlen des Online-Geschäftes haben, das ja immerhin das Kerngeschäft darstellt.
Christian: Das erhöht natürlich die Anforderungen an die Mitarbeiter in diesen Positionen. Wie häufig triffst du dieses Wissen und diese Fähigkeiten auch wirklich in Start-Ups an?
Nils: Bei den Leuten, die operativ arbeiten, treffe ich das sehr häufig an. Außerdem möchte ich darauf hinweisen, dass sich gute Controller heute stärker auf die Technologie konzentrieren und eine eigene Kreativität entwickeln müssen. Es reicht nicht mehr, sich einfach mal schnell Daten aus SAP oder dem ERP-System zu ziehen, weil sich sowohl die Datenpunkte als auch die Systeme vervielfacht haben. Ein Finanzcontroller ist heute eher ein BI-Spezialist, der bestimmte Datenpunkte aus dem System zusammensucht.
Christian: Du warst bereits für Unternehmen tätig, die sowohl mitarbeiterseitig als auch umsatzseitig stark skaliert wurden. Dabei ist es ja etwas vollkommen anderes, ob man mit fünf oder plötzlich mit 200 Mitarbeitern arbeitet. Wie skaliert man im Finanzbereich richtig und worauf muss man aus Finanzsicht achten?
Nils: Für mich war der wichtigste Faktor immer die Liquidität. Egal, wie umfassend finanziert, egal, wie stark man aufgebaut ist – ein Cashflow muss immer gegeben sein. Der zweite Punkt ist, den richtigen Zeitpunkt für einen Systemwechsel zu erkennen. Mit dem, was ich gefährliches Halbwissen nenne, kommen die ersten Teams nur so weit. Man muss irgendwann dazu übergehen, sich Fachkräfte ranzuholen und spezialisierte Abteilungen aufzubauen, die dann anfangen, bestimmte Sachverhalte in der Tiefe zu erarbeiten. Der erste Wechsel muss meines Erachtens bei ungefähr 30 Leuten passieren, dann bei 70 und dann bei 100 bis 120 Leuten.
Christian: Wie führt man diese Leute richtig, wenn das eigene Unternehmen schnell wächst?
Nils: In einem schnellwachsenden Unternehmen ist das Maß an Eigenverantwortung extrem hoch. Das bedeutet, man kann wenig Prozesse, Controllingschritte oder Maßnahmen vordefinieren. Als Führungskraft sollte man deshalb lernen, den Leuten zu vertrauen. Man setzt durch seine eigenen Prinzipien die Leitplanken, aber innerhalb der Leitplanken können die Mitarbeiter fahren wie sie wollen. So erreicht man einen skalierbaren, agilen Organisationsstil, der es jedem Unternehmensbereich ermöglicht, zu wachsen.
Christian: Dann kommen wir zur abschließenden Frage. Welches ist dein Lieblingsbuch oder das beste Buch, das du in den letzten drei Monaten gelesen hast?
Nils: Mein Lieblingsbuch der letzten drei Monate ist „Vom alten Schlag“ (The Old Breed, von E. B. Sledge). Darin erzählt ein US-Soldat von den Schlachten im Pazifik während des Zweiten Weltkriegs. Ich finde es unglaublich interessant zu verstehen, wie Menschen in Extremsituationen reagieren. Auch ein Unternehmensaufbau mit schnellem Wachstum ist eine Extremsituation – auch wenn er nicht annähernd so gefährlich oder so nervenaufreibend ist wie eine Weltkriegsschlacht.
Christian: Danke für deine spannenden Antworten!