Microservices based, API-first, Cloud-native SaaS und Headless sind die Schlagworte, wenn es um einen modernen Tech Stack geht. Traditionelle Softwareanbieter standen und stehen oft noch vor der Herausforderung entsprechend umzudenken, andere sind auf der grünen Wiese direkt mit diesem Ansatz gestartet. Das gleiche gilt auf Kundenseiten, wo selbst viele Digitalunternehmen der ersten Stunde vor einem typischen Wandelprojekt stehen. Wir sprechen heute mit Boris Krstic von der actindo AG, die eine Cloud-Native EPR-Lösung (Warenwirtschaft, Finanzbuchaltung, PIM, etc.) anbieten über seine Erfahrungswerte und warum der richtige Mindset bei der Digitalisierung wichtiger ist als bestimmte technische Skills. Unter anderem geht es dabei um die folgenden Fragen:  

Viel Spaß beim Lesen.

Christian/René: Als ERP-Anbieter mit einem SaaS-Produkt in der Cloud war Actindo praktisch von Geburt an digitalisiert. Inwieweit ist das ein Vorteil oder gibt es auch im Zuge der API-sierung Herausforderungen für Unternehmen, die als Digital First Company gestartet sind?

Boris: Man kann uns durchaus als Digital Native Company bezeichnen, was uns natürlich eine Vorteil verschafft, da gewisse Dinge von Start an nicht in Frage gestellt werden. Es geht da gar nicht um Details, ich denke da vor allem auch an einen agilen Mindset. Der techniche Wandel ist allerdings so schnell, dass man immer wieder investieren muss, um diesen Startvorteil nicht zu verspielen. Ich denke hier gar nicht an technische Details, sondern vielmehr an den eigenen Mindset bei jedem einzelne Mitarbeiter. Beispielsweise muss sich ein Softwareentwickler auch mental weiterentwickeln, wenn er vorher noch nicht mir einer API-first-Infrastruktur gearbeitet hat. Hier muss man ganz anders Software entwickeln, testen, etc. Streng genommen steht hier JEDES Unternehmen vor einem klassichen Wandelprojekt, auch wenn man das häufig nicht so wahrhaben möchte. 

Christian/Rene: Ihr unterstützt u. a.  Großkonzerne wie Mondelez oder die CITTI-Handelsgesellschaft beim Einstieg in den E-Commerce und die ERP-Welt. Was sind die größten Herausforderungen im Hinblick auf die Digitalisierung in solchen Großprojekten?   

Boris: Der allererste Punkt ist es wirklich, deutlich zu machen, dass das Thema absolute Chefsache ist. Man kann das nicht irgendwelchen Abteilungen zuweisen und dann darauf hoffen und beten, dass das etwas wird. Und man muss verstehen, dass das nur Schritt für Schritt ablaufen kann. Deshalb empfehlen wir, Digitalisierungsprojekte in einzelnen Waves umzusetzen. Ein weiterer wichtiger Punkt ist die Blueprint-Phase, um die technische Machbarket zu prüfen. In der wird oftmals nicht sauber gearbeitet. Keiner sollte im Jahr 2021 weitreichende Technologieentscheidungen auf Basis einer Power-Point-Präsentation treffen, du musst dir so schnell wie möglcih die Hände dreckig machen, um eigene Erfahrungswerte aufzubauen. Deshalb plädiere ich immer dafür, sich vor allem in dieser Phase mehr Zeit zu nehmen, wenn man eh mal das ganze Projektteam am Tisch hat. Dabei darf man natürlich nicht vergessen, Datenströme und diesbezügliche Erwartungshaltungen auch entsprechend durchzuplanen, damit nach hinten heraus keine Überraschungen auftreten. Man macht eventuell eine Detailschleife mehr, produziert vielleicht auch noch einmal Mehrkosten – aber lieber so, als am Ende eine dicke Rechnung bezahlen müssen. 

Christian/René: Wie lange sollte so eine Testphase aussehen, wenn man noch relativ unerfahren in diesem Bereich ist und sich z. B. dem Thema Omni-Channel nähern möchte?

Boris: Ich persönlich mag den Begriff „Omnichannel“ nicht mehr, weil der auf diese überholte Kanaldenke abstellt. Wir unterstützen unsere Kunden insofern, als dass wir es ihnen ermöglichen, in drei bis sechs Monaten einfach erst einmal Erfahrungen zu sammeln. Das ist ungeheuer wichtig. Durch unsere Technologie können Shop-Systeme genutzt, Amazon und eBay integriert und Vertrieb und Außendienst digitalisiert werden. Das sind also alles keine Riesendigitalisierungsprojekte, sondern Funktionalitäten, eine Art Tool-Set. Und ich glaube auch  dass das Thema Digitale Marktplätze/Digitalisierung nicht nur ein Thema der IT ist. Deshalb sehe ich eine besondere Herausforderung darin, auch wirklich alle Mitarbeiter darauf einzuschwören.

Christian/René: Du hast eben die Blueprint-Phase erwähnt, in der möglichst genau gearbeitet werden muss. Welche sind die ersten Meilensteine in dieser Phase, die du einem absoluten Rookie erläutern würdest?

Boris: Wenn ein Rookie vor mir sitzt, würde ich ihn – ganz klar – erst einmal schocken. Ich würde ihm sagen: Innovate or die. Es gibt einige Studien, die belegen, dass sich bis zu 70 Prozent der traditionellen Händler neu erfinden müssen, oder sie werden verschwinden.  Dabei sollte das übergeordnete Ziel meiner Meinung nach eine Art Harmonisierung sein: Wie können Produkt- und Kundendaten harmonisiert und Datensilos abgeschafft werden? Wie können Anbindungen an Touchpoints geschaffen, wie Prozesse vereinfacht werden? Und natürlich setzt das eine deutliche Ausrichtung auf den Kunden voraus, das kundenzentrierte Denken. Das schreiben sich zwar viele auf die Fahne, aber die wenigsten leben und atmen es.

Christian/René: Warum sind harmonisierte Kunden-, Artikel-, Bestell- und Bewegungsdaten so wichtig und warum muss man das eigentlich immer noch betonen? 

Boris: Nur wenn ich sämtliche Daten in einem System habe, kann ich auch aussagekräftige Zahlen hervorbringen und z. B. auch bestimmte Dinge automatisieren und personalisieren. Du kannst nur dann eine einheitliche Customer Experience über alle Touch Points hinweg sicherstellen, wenn du diese Touchpoints erfassen und auswerten kannst. Warum man das nach wie vor betonen muss? Zu viele Unternehmen fragen nach den Chancen von Big Data, Maschinenlernen aber das sind am Ende des Tages nur Buzz Words, wenn du die Grundlagen nicht im Griff hast.

Christian/René:  Welches Projekt aus eurem Umfeld ist gescheitert und woran hat das im Kern gelegen, vielleicht auch als allgemeingültiges Beispiel?

Boris: Da will ich mal drei Punkte nennen. Der erste ist die Überschätzung des eigenen Fachwissens und der internen Ressourcen. Wir hören oft „Ja, das kriegen wir hin“ oder „Das kriegt unsere IT hin“. Und wenn es dann hart auf hart kommt, verfällt das gesamte Unternehmen in Panik. Der zweite Punkt: wenn man sich zu wenig Zeit für die Blueprint-Phase nimmt. Und der dritte Punkt, an dem die meisten Vorhaben scheitern, ist das grundsätzlich fehlende digitale Mindset – nicht nur in der Führungsetage, sondern unter allen Mitarbeitern.

Ein Beispiel hierfür ist mir letztens erst selbst passiert. Ich nutze privat oft Click-and-Collect, zum Beispiel in Baumärkten. Wenn ich dann am Schalter nach meiner Bestellung frage und sehe, wie erst einmal ein dicker Ordner mit Faxen vom Morgen gezückt wird, dann sehe ich, dass es dort schon an der Umsetzung der Grundlagen mangelt. Das digitale Mindset muss bis zum Kontaktpunkt mit dem Kunden durchdacht und gelebt werden.

Christian/René: „Herzlichen Glückwunsch, Sie haben das Internet ausgedruckt!“.

Boris: Genau. Das ist wirklich immer faszinierend. Dass der im Internet aufgeführte Bestand nicht stimmt, habe ich schon oft akzeptiert. 

Christian/René: Und jetzt der Umkehrschluss: Wenn man in diesen Punkten besteht, wird es dann ein erfolgreiches Digitalisierungsprojekt mit entsprechendem Erfolg?  

Boris: Einer der coolsten Fälle aus diesem Jahr ist die Firma Braun Büffel. Das ist ein sehr renommierter Lederwarenhersteller mit Sitz in Rheinland-Pfalz, der seit mehr als 130 Jahren besteht. Da sitzt Christiane Brunk, die Urenkelin des Gründers, wirklich noch selber im Driver Seat. Sie ist bei jedem strategischen Meeting dabei, fragt nach, will verstehen, will sich einbringen und das Thema Digitalisierung mit dem traditionellen Handwerk vereinen. Und ich glaube, das ist ungeheuer wichtig: Digitalisierung ist kein Thema, das mir von einem Berater auf dem Tisch filetiert wird. Für Braun Büffel geht es dabei nicht um eine Digitalisierungsstrategie, sondern um eine Überlebensstrategie.

In diesem Fall waren wir der Dienstleister für das Prozessthema. Die erhielten dann eine Digitalisierungs- und E-Commerce-Beratung, in der die Digital Readiness bewertet wurde, aber auch eine Wandel- und Kulturberatung. Und schließlich war das Unternehmen bereit, sich zu überlegen, wie eine ganzheitliche Strategie umgesetzt werden könnte: Wo gibt es Handlungsbedarf? Da wird schon mal ganz schonungslos offengelegt, dass der eigene IT-Leiter nicht mithalten kann und demnach eine Klippe umschifft werden muss. Damit sind wir wieder beim einleitenden Hinweis angekommen, dass Digitalisierung am Mindset und beim Menschen starten muss.

Christian/René: Danke für das Gespräch und die spannenden Einsichten!

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